Reinhard Brennecke
Großansicht
"Hope I Die Before I Get Old" – Ich hoffe, ich sterbe, ehe ich alt werde, röhrte Who-Sänger Roger Daltrey vor mehr als vier Jahrzehnten jene berühmte Zeile, die Band-Chef und Gitarrist Pete Townshend der Jugend seiner Generation auf den Leib geschrieben hatte.
Die Aussage gehört zu den großen Missverständnissen und Mythen des Rock ’n’ Roll. Denn Townshend, der intellektuelle Rocker, wollte nicht dem schnellen Leben und dem frühen Tod das Wort reden, sondern die tiefsitzende Angst vor dem Alter auf eine Formel bringen.
Daltrey schreit die Zeile noch immer bei Auftritten der britischen Rock-Band "The Who", weil der Song längst unsterblich ist. Townshend drischt die wuchtigen Akkorde Womm, womm, womm, womm!, mit denen dieser Klassiker losfetzt, wie eh und je wild entschlossen.
Der Apfel rockt nicht weit vom Stamm
Daltrey und Townshend, die beiden Gründer der legendären Band, haben überlebt, Schlagzeuger Keith Moon und Bassist John Entwistle nicht. Doch die Who geben nicht auf, Roger und Pete halten die Fahne hoch und rocken weiter.
Und wie! Unterstützt werden sie unter anderem von Townshends Sohn Simon (Gitarre) und Zak Starkey (Schlagzeug), dem Sohn des Beatles-Drummers Ringo Starr: Der Apfel rockt eben nicht weit vom Stamm.
Am Samstagabend klettern die Who in den "Magic Bus", ihr wohl bestes Stück, und lassen es beim internationalen VW-Bulli-Treffen in Hannover vor Tausenden von Fans auf dem Messegelände krachen.
"Magic Bus" – das ist Rhythmus, das ist hynotisierende Percussion, das ist fiebriger Rock ’n’ Roll, das ist schwitzende, berstende Energie. Die Who, witzelt Townshend unnachahmlich britisch, spielen diesen Song eigentlich nur bei Regen – dann kann man sich in diesen oder jenen Magic Bus flüchten.
"I Can’t Explain", der erste Hit der Who, könnte gestern aufgenommen worden sein. Townshend bringt die Sprachlosigkeit, mittlerweile von Generationen, zur Sprache. Er hat nichts zu sagen, er hat keine Botschaft. Kein Rock-Star hat die Inhaltsleere dieses Geschäfts so beredt erklärt wie der Chef der Who.
Townshend und Daltrey sind "The Seeker", sie suchen nach Wahrheit und werden sie nicht aufspüren, an keinem Platz der Welt: "Anyway, Anyhow, Anyhwere". Die beiden Leinwände neben der Bühne zeigen, wie anstrengend die Suche ist – und mit welcher Klasse die Who sie meistern. Daltrey und Townshend haben Charisma, sie sind Typen.
Townshend zelebriert den Windmühlen-Schlag
"Baba O’Riley" bietet dem Sänger Gelegenheit, das Mikrofon wie an einem Lasso zu Schwingen, der Gitarrist grätscht die Beine und zelebriert den berühmten Windmühlen-Schlag, mit dem er seiner Gitarre den Who-Sound entlockt: Womm, womm, womm, womm! Das phantastische Mundharmonika-Solo von Daltrey zeigt, warum es diese Band noch gibt: Sie hat Stil, sie ist unverwechselbar, sie ist grandios.
Die Who werden rocken, solange Townshend und Daltrey weitermachen. In "Won’t Get Fooled Again" sagt Pete lakonisch: "Pick Up My Guitar And Play, Just Like Yesterday" – Ich spiele Gitarre, wie immer.
Aber nicht wie jeder! "Pinball Wizard" aus der Rock-Oper "Tommy" macht die Bühne zum Flipperkasten, am Gerät stehen nicht nur die Who, sondern Tausende von Fans, die mitmischen.
P.S.: Das Who-Konzert 1967 in Bremen habe ich verpasst. Dieser Fehler wurde ausgebügelt!