Harry Wagner
FULDA. Mag es auch wochenlang zuvor trocken gewesen sein, eines ist gewiss: Pünktlich zu einem Open Air Event in Fulda lässt Petrus seine Muskeln spielen. Just als The Cult gestern Abend kurz vor 19.30 Uhr im Begriff waren, die Bühne zu betreten, entlud sich eine pechschwarze Wolke intensiv über Sickels.
Zum Glück blieb es bei der einmaligen Dusche. Nachdem der Supporting Act den rund 5000 Besuchern auf dem nicht ausverkauften Festivalgelände mit 50 Minuten schnörkellosem und kraftvollem Rock eingeheizt hatte (Sänger Ian Astbury: "We don‘t do Hip Hop, we do Rock‘n‘Roll"), war das Wetter schon kein Thema mehr – fast schien es so, als hätten sich die Gewitterwolken aus Respekt vor den beiden Rocklegenden Roger Daltrey und Pete Townshend verzogen.
Kein Schnickschnack
Und auch auf künstlichen Donner und pyrotechnischen Schnickschnack verzichteten die Helden des Abends. Es war 20.45 Uhr, The Who kamen fast unbemerkt auf die Bühne und gaben dem Publikum vom ersten Ton an, wofür es gekommen war: Hits, Hits und nochmals Hits. Fulda war die erste von fünf Stationen in Deutschland auf der 2007er-Tour der Band, um deren Kern sich hervorragende Musiker scharen: Pino Palladino (Bass), Ringo Starrs Sohn Zak Starkey (Schlagzeug), John Bundrick (Keyboards) und Simon Townshend (Gitarre) bleiben dezent im Hintergrund, zaubern aber mit ihren beiden Bossen den typischen Who-Sound auf die Live-Bühne und nehmen die Fans mit auf einen Streifzug durch 40 Jahre Rock-Geschichte.</p><p align="justify">"I Can‘t Explain" eröffnet das Konzert, auf der Videoleinwand sind Sequenzen eines Who-Auftritts in den 60er-Jahren zu sehen – inclusive der verstorbenen Gründungsmitglieder John Entwistle und Keith Moon. "The Seeker" und "Substitute" schließen sich an. Nostalgie ist Trumpf, aus dem 2006 erschienenen Album "Endless Wire" werden nur wenige Stücke gespielt. Freilich ist es einer der jüngeren Songs, der zu den Höhepunkten des Auftritts gerät. "A Real Good Looking Boy" ist Roger Daltreys Hommage an Elvis, "der mein Leben verändert hat, als ich ihn zum ersten Mal mit elf Jahren gehört habe. Aber meine Eltern haben ihn gehasst."
Nicht mehr wirklich aggressiv
Die Fans mochten ihn, diesen relaxten, fast fröhlichen Who-Song, der so ein wenig zu dokumentieren scheint, dass die Helden nicht mehr wirklich aggressiv sein wollen. Sicher, Pete Townshend lässt bei seinem einzigartigen Gitarrenspiel immer noch den rechten Arm in typischer Manier wie einen Windmühlenflügel kreisen. Aber die Zeiten, als er auf der Bühne sein Instrument demolierte – die sind wahrlich längst passé. Zum Glück: Denn sonst hätte Townshend womöglich anders reagiert, als ausgerechnet bei "Baba O‘Riley", einem der komplexesten Who-Songs, die Gitarre zeitweise komplett ausfiel. So aber quittierte er die Panne mit einem offensichtlich entspannten Lachen. Auch beim solo vorgetragenen "Drowned" aus der Rock-Oper "Quadrophenia" verlief nicht alles nach dem Geschmack des Who-Masterminds.
Die vorübergehenden technischen Probleme waren es aber nicht, weshalb The Who bereits nach knapp 90 Minuten zum ersten Mal von der Bühne gingen. Im Vergleich etwa zur US-Tournee im Winter und Frühjahr war der Set verkürzt worden. Und so kamen die Fans in Fulda nicht in den Genuss einiger Perlen von früher und heute. Was natürlich nicht fehlen durfte: "My Generation" und das immer noch wohlige Schauer den Rücken hinabjagende "Won"t Get Fooled Again". Spätestens mit diesen beiden Klassikern hatte das Konzert auch weiter an Lautstärke zugelegt - mit brachialem Soundgewitter ging es dem Ende entgegen.
Greatest Hits"-Sammlung komplett
Die letzten 20 Minuten waren "Tommy" und seinen prägnantesten Songs gewidmet - und damit war die "Greatest Hits"-Sammlung auf dem Sickelser Airfield komplett. Mit "Tea and Theatre" verabschiedeten sich Daltrey und Townshend unplugged - ein stiller, sehr intim wirkender Moment. Es waren Augenblicke wie diese, die sichtbar machten, dass hier zwei Menschen durch eine langjährige, nicht nur künstlerische, Geschichte miteinander verbunden sind und ihre Band gemeinsam zu einer der einflussreichsten der Musikgeschichte gemacht haben.
Als die Konzertbesucher gegen 22.35 Uhr auf den Heimweg geschickt wurden, waren sie auch fast schon wieder trocken - und nahmen die tröstenden Worte von Pete Townshend mit, der zuvor die vielen durchnässten Menschen hatte wissen lassen, dass "Regen Gottes Segen" ist. Und während die Helfer noch bis weit in die Nacht damit beschäftigt waren, Bühne, Technik und Stahlrohrtribüne abzubauen, haben sich die Rock-Veteranen womöglich schon mit ihrem nächsten Gig beschäftigt: Heute gastieren sie in der norditalienischen Opern-Metropole Verona. Für ihr Fuldaer Publikum verteilten The Who beim Abschied artig Komplimente: "Wir waren zum ersten Mal hier. Aber wir hoffen, viele, viele Male wiederkommen zu dürfen."